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Metaebene #02 – Spiele & Presse

· 9 Minuten Lesezeit

Willkommen zur zweiten Ausgabe der Metaebene. Aus gegebenem Anlass soll es diesmal um Spiele-Berichterstattung in den General-Interest-Medien gehen.

Haus am Meer

Mein Traum von der Rente und meine Idealvorstellung von einer Tageszeitung hängen zusammen: eines fernen Tages soll es meine Morgenroutine sein, entspannt erst zum Kaffee und dann zur Zeitung zu greifen und letztere komplett von vorne bis hinten durchzulesen. Meiner Meinung nach der beste Weg in einen Tag zu starten, der nicht mit Arbeit angefüllt ist. Ob das Trägermedium der Zeitung dann Papier, Tablet, AR-Brille oder ein Holoprojektor sein wird, das ist mir ziemlich egal: Da lasse ich mich gerne von der Zukunft überraschen. Aber wenn ich dann mit der Zeitung von der ersten bis zur letzten Seite durch bin, dann habe ich zwei Erwartungen:

  1. Das Lesen sollte mir Vergnügen bereitet haben und
  2. Danach sollte ich gut informiert sein. Zumindest über Politik, Kultur, Wirtschaft und zur Not auch Sport. Weil das nun mal die traditionellen Kern-Rubriken einer Zeitung sind.

Und an dieser Stelle biegen wir langsam auf das Gleis ein, das wir in dieser Ausgabe der Metabene befahren wollen: es geht nämlich um Games-Journalismus in Tageszeitungen, oder allgemein in Medien außerhalb der reinen Games-Presse. Also das, was man wohl "General Interest"-Medien nennt, wenn man nicht abwertend von "Mainstream-Presse" sprechen will.

Jetzt kann man sich natürlich überlegen, ob Games überhaupt Kulturgut genug sind, um im Kultur- oder einem sonstigen Teil von "General Interest" von general interest zu sein. Da würde ich sagen: wenn das neue Album von Taylor Swift oder ein neuer Blockbuster-Film in den Kulturteil gehört, dann gehört ein neuer Zelda-Teil da definitiv auch rein. Denn wenn Millionen Menschen in Deutschland etwas hören, oder Millionen Menschen etwas schauen, dann möchte man als informierter Zeitungsleser darüber schon gerne Bescheid wissen. Und zwar ohne das unbedingt selbst hören oder selbst schauen zu müssen. Deswegen liest man die Zeitung ja. Und für Games gilt dann einfach genau das gleiche: Ich möchte wissen, wie sich das neue Zelda spielt, ohne mir dafür eine Switch kaufen zu müssen oder zwingend 100 Stunden in einer Open World zu verbringen.

Deswegen hier ein kurzer Ritt durch die deutsche Nicht-Spiele-Presse, mit kleinen Ausflügen nach Süden und Nordwesten.

Der Spiegel

OK, eigentlich keine Tageszeitung. Aber im Zuge der Online-Fokussierung verschwimmt die Grenze und Spiegel Online geht dann locker als Tageszeitung durch. Die Games-Berichterstattung versteckt sich in der Kategorie Netzwelt/Games. Nicht ganz ideal (was haben Games mit einer Netzwelt zu tun?), aber immerhin gibt es überhaupt eine Kategorie.

https://www.spiegel.de/netzwelt/games/

In den letzten zwei Monaten sind da zwölf Artikel erschienen: unter anderem wurde über Diabolo, das Gollum-Fiasko und Zelda berichtet. Mit viel gutem Willen kann man sagen, dass damit mit Ach und Krach der Minimalstandard für Berichtenswertes aus der Gaming-Welt für diesen Zeitraum erreicht wurde. Gollum fand dabei vermutlich nur deswegen Erwähnung, weil "Deutschland versagt" seit 70 Jahren ein Leitthema und Eckpfeiler der Spiegel-Berichterstattung darstellt …

Süddeutsche Zeitung

Games finden sich hier unter Kultur/Games, was grundsätzlich die richtige Einordnung wäre. Alleine: "finden" trifft es leider nicht ganz, denn wenn man von der Homepage auf Kultur klickt bekommt man die Unterkategorien "Debatte, Ukrainisches Tagebuch, Film, Pop, Literatur, Kunst, Architektur, Theater und Klassik" präsentiert, aber nix mit Games. Erst wenn man irgendeinen Games-Artikel gefunden hat, dann gibt's einen Link mit der Liste.

https://www.sueddeutsche.de/thema/Games

Auch hier zwölf Artikel in den letzten zwei Monaten. Aber auch nur, weil die Kategorisierung wohl eher ein Tagging darstellt und daher auch Artikel wie "Flex-Wirt Tobias Greiner" (Kneipenwirt, der auch Spiele entwickelt) oder ein Artikel über einen Tatort mit E-Sport-Thematik ebenfalls hier landen. Ansonsten: ein diskussionswürdiger Artikel zu Diabolo (siehe unten), nix zu Zelda, aber immerhin ein schöner Artikel zu Chained Echoes nach dem Gewinn des DCP.

Focus, FAZ, Welt, NZZ:

Focus: längeres Suchen liefert https://www.focus.de/digital/games/ und dort zwei(!) Artikel in diesem Jahr: einen Test von "Star Wars Jedi: Survivor", sowie den Test des neuen Sony "Profi-Controllers zum Profi-Preis". Also zwei Artikel, einer davon eher Product-Placement.

Welt, FAZ, NZZ: nix, niente, nada. Gähnende Leere.

Zwischenfazit

Spiegel und Süddeutsche machen erbärmlich wenig, und das mit wechselhaftem Niveau. Aber damit liegen sie immer noch über dem deutschen Durchschnitt. Bis hierhin würde man sagen: Games-Journalismus findet in Deutschland nur in der Fachpresse statt. Oder anders: im Games-Journalismus der Games-Fachpresse fehlt es an Journalismus, im Games-Journalismus der General-Interest-Presse fehlt es an Games.

Ausland #1: Österreich, Der Standard

Die Süddeutsche Zeitung hat eine Auflage von knapp 300.000 Exemplaren (2022), der österreichische Standard eine von rund 52.000 (2022). Wenn man daher vermutet: dann wird die Games-Berichterstattung entsprechend auch kleiner sein, dann vermutet man falsch. Boy, aber sowas von falsch. Ein Klick auf

https://www.derstandard.at/web/games

lässt einen glauben, dass der Standard möglicherweise vielleicht eher ein Games-Magazin mit angeschlossenem Politik- und Sportteil sein könnte. Zumal man als aussenstehender ohnehin das Gefühl hat, dass österreichische Politik eher unter "Kurioses und Vermischtes" passt …

Falls mich die Gamestar bei einer Befragung ihrer zahlenden Plus-plus-Print-Abonnenten jemals fragen sollte, wie die Gamestar Homepage aussehen soll, dann wäre die Antwort jedenfalls: "So wie der Standard!" (Zu dem Thema kurz die derzeitige 2. Überschrift der Gamestar Startseite als Kostprobe: "Dank Photoshops neuem KI-Feature war Bildbearbeitung noch nie so einfach". WTF?)

Die Startseite des Standard liefert dagegen einen tollen Überblick über aktuelle Games-Themen.

Vier Diablo Artikel sind vielleicht etwas viel, aber es findet sich auch der Landwirtschaftssimulator für die Switch, ein Test von "Street Fighter 6" sowie ein Vorbericht von Rogue Trader (was den Pathfinder-begeisterten Teil meines Haushalts in Verzückung versetzen dürfte). Kurzum es ist alles da, was man sich wünschen kann. Wenn es überhaupt etwas zu mäkeln gibt, dann dass es fast ein bisschen zu viel ist, wenn man den Nicht-Gaming-Teil des Standard auch noch lesen will.

Aber es zeigt jedenfalls, dass es geht. Und zwar sehr viel besser als es Spiegel und Süddeutsche machen.

Ausland #2: Großbritannien, The Guardian

Schliesslich noch meine absolute Spiele-Lieblings-Seite in den Nicht-Spiele-Medien: die Games-Rubrik im Guardian.

https://www.theguardian.com/games

In der Seitennavigation liegt sie genau dort wo man sie erwarten würde, unter der Obersparte "Culture" und dann zwischen "Film" und "Classical". Und vor allem liegt sie da, mit genau den richtigen Inhalten, die ich von einem Leitmedium erwarte:

  • Es gibt Reviews relevanter aktueller Spiele: Diablo, System Shock, Zelda, Redfall, Jedi Survivor.
  • Es gibt coole Listen: "10 interesting video games about immigration" (von Papers, Please über GTA IV bis Homeworld),
  • Es gibt schöne Kolumnen: "My son is moving out – but we had time to play one last game" (Für Insider: Quasi "Ready Parent One", letzter Teil)
  • Und schließlich gibt es sogar noch tolle Fotogalerien: Shoot ’em up! California’s retro games arcades – in pictures*

Das ganze gepaart mit dem angenehm bissigen, meinungsstarken aber humorvollen Schreibstil, der (guten) britischen Publikationen zu eigen ist. Kostprobe: die Überschrift zum Diablo IV Review lautet: Diablo 4 review – a hell of a good time? Und es gibt 3 von 5 Sternen.

Es hat also alles, und auch alles, was in Deutschland fehlt.

Die Sache mit dem Heroin

Anlass für diese Kolumne ist ein SZ-Artikel vom 5. Juni:

In diesem schreibt SZ-Autor Nicolas Freund, der sonst überwiegend über die Ukraine berichtet, über Diablo IV. Die Art und Weise wie er das tut, hat zumindest in meiner (sehr kleinen) Twitter-Blase für Aufsehen gesorgt. Und eher nicht von der positiven Art.

Der Artikel liegt hinter der Paywall. Daher hier einige Zitate: "Diablo ist ein sogenanntes Action Rollenspiel [sic]." Das lässt vermuten, dass der Autor vermutet, seine Leser-Zielgruppe hätte nicht nur nie von diesem Begriff gehört, sondern würde auch den Satz "Diablo ist ein Action Rollenspiel." nicht verstehen. Im Ergebnis klingt es aber jetzt ein wenig so, als würde man schreiben "Die Zauberflöte ist eine sogenannte Oper".

Überhaupt schreit der ganze Artikel irgendwie nach dem Versuch, die Relevanz und Wirkmacht von Games verdeutlichen zu wollen. Koste es, was es wolle. Und das erzeugt dann Vergleiche von schief: "Wenn nun etwa der DAX oder andere Aktien-Indizes einbrechen, dann weil eine kritische Masse an Arbeitnehmern von nun an komplett mit dem Totklicken digitaler Monster beschäftigt ist … [Das ist nur leicht übertrieben]" bis wirklich unglücklich: "Weil die Entwickler das "Diablo"-Prinzip schon seit Jahrzehnten psychologisch derart optimiert haben, dass es sich zu anderen süchtig machenden Stoffen, Instagram oder Nikotin zum Beispiel, so verhält wie Heroin zu einer Tüte Gummibärchen."

Nach so einer Steilvorlage kann man der Redaktion die Überschrift "Dieses Spiel ist digitales Heroin" auch nicht mehr verübeln. Wenn die eigentliche Spielepresse gerade anfängt zu erkennen, dass Formulierungen wie "macht süchtig" als Lob vielleicht gleich doppelt falsch sind, dann ist es natürlich nicht schön, wenn diejenigen dahinter zurückfallen, die journalistische Standards eigentlich besser beherrschen sollten.

Ich bin aber trotzdem ein großer Freund phantasievoller Formulierungen. Und wenn dann schon mal ein Vergleich verrutscht, geht davon nicht die Welt unter. (Vorsicht Kalauer: wenn die WELT untergehen würde, wäre das aber völlig OK …)

Wenn daher im Artikel steht "Diablo 3 sieht aus wie ein Bubbletea-Tsunami in einem Kinderzimmer", "[Diablo 4] wie ein Amoklauf in einem Hieronymus-Bosch-Gemälde", dann gefällt mir das. Sogar trotz des Begriffs "Amoklaufs", der bei Spiele-Berichterstattung nicht ganz ungefährlich ist.

Was mich aber stört ist der Umstand, dass Spieleberichterstattung im deutschen Mainstream zu oft immer noch nur dann stattfindet, wenn man dabei ein allgemein-gesellschaftliches Problem oder zumindest Phänomen hineininterpretieren oder es zu einem solchen aufblasen kann. Ich hatte gehofft, diese Zeiten lägen seit der Killerspiel-Debatte hinter uns.

Ich glaube nicht einmal, dass das die Sensationsgier des Autors ist (vermutlich selbst ein Diablo-Spieler wie Millionen andere auch), sondern eher das Vehikel, um den Artikel ins Blatt zu bekommen: man hätte den Artikel auch ohne die Heroin-Vergleiche seriöser formulieren können (wie z. B. der c’t-Artikel es tut, der ähnliche Dinge thematisiert). Aber dann wäre er vermutlich in der SZ nicht erschienen.

Fazit

Auf Mainstream-Medien schimpfen ist ja einfach und wird schnell gemacht. Gerne ja auch von Menschen, mit denen man ums Verrecken nicht einer Meinung sein möchte.

Deswegen möchte ich nicht auf einen einzelnen Artikel schimpfen, sondern fragen: Warum findet Spielejournalismus in der General-Interest-Presse in Deutschland fast nicht statt? Sind die positiven Beispiele aus dem Ausland nur Ausnahmen die die Regel bestätigen? Oder ist das eher eine deutsche "Spiele sind ja nix Ernsthaftes, das machen wir nicht"-Sache?

Die SZ selbst hat in einem schönen Artikel mit dem Titel "Videospiel-Journalismus: Game Over" (Als "Papershot" hier) ja von den Schwierigkeiten berichtet. Wenn schon die Games-Fachpresse erhebliche Probleme hat, kann man dann von der auch nicht gerade auf Rosen gebetteten General-Interest-Presse erwarten, dieses Gebiet vernünftig zu bedienen? Ist im Zeitalter von Twitch und Influencer Let’s-Play-Videos noch Platz für vernünftig kuratierte Spiele-Berichterstattung oder gilt das Prinzip "Jede Person muss sich im Netz selbst zusammensuchen, was ihr gefällt"?

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