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Fostering Apocalypse

· 4 Minuten Lesezeit

In Open Beta öffnen wir M10Z für eure Gastbeiträge. Kurze Gedankenblitze, lange Kolumnen, Spielkritiken, … alles kann, nichts muss.

Heute nimmt euch Beachfred mit in die Apokalypse. „Fostering Apocalypse“ ist das untypische Erleben einer Welt auf dem Sterbebett. Ein sympathisch-zugespitzter Widerspruch in Reinform.

Diesen und andere Texte findet ihr auch auf seinem Blog telefxnmast.

Endloses Panorama: in der oberen Hälfte ein grau-grässlicher Himmel, in der unteren eine lavadurchströmte Hügellandschaft aus erodierter Erde. Letzte leblose Baumskelette ragen unbeholfen von der einen in die andere und zeugen als einziges Element von einer Zeit, in der die Böden nicht aufgerissen und die Luft noch durchsichtig war. Endzeit kommt in den Sinn. Oder eben: Apokalypse. Ein starkes Bild, mit dem „Fostering Apocalypse“ einsteigt.

Das also zum Auftakt in das Jahr 19XX, in der das Ende schon einmal über die Welt hereinbrach. Ein Blinzeln; länger hat die erlesene Abrechnung nicht gedauert und die Menschheit wurde auf wenige Dutzend reduziert. Nun steht die zweite Apokalypse bevor. Also spielt der Handlungszeitraum in einer Post-, Pre- und Interapokalypse. Dramatisch.

Bevor wir etwas von der Story begreifen, schlängelt sich der eindrucksvolle Grafik-Stil gekonnt in den Vordergrund. Die Szenerie ist mit pixeligen Schablonen besetzt und geht im Hintergrund in reine Pixel-Art über. Neben den gedämpften Landschaftstönen gleißt ein grelles Orange Risse ins Bild und akzentuiert das Ödland. Gerne würde ich den Schaffensprozess begreifen; ich denke, viele Texturen sind herunterskalierte Originalaufnahmen, die anschließend verschrofft wurden. Dazwischen allerhand Selbstgezeichnetes. Gekonnt mischt es sich ineinander, aber erstmal weiter zum Beschwörungshaus des Untergangs.

Eine der wenigen Überlebenden ist Del. Als sie einen roten Blitz am Horizont ausmacht und dem Geschehen auf den Grund geht, greift das Event der zweiten Apokalypse: Der Blitz entsprang einem Ritual, welches eine unheimliche Bestie entfesselt. Dieser Dämon – so die Prophezeiung – wird alles Verbleibende auslöschen.

Hier nimmt die Handlung von „Fostering Apocalypse“ an Fahrt auf. Von einer Bestie ist am Ritualort nichts zu sehen; nur ein kleiner Käfig mit sensiblem Tierchen. Del rettet das hilflose Wesen und lässt es an ihr Herz wachsen – obwohl nicht klar ist, worauf sie sich einlässt. Das Teufelchen bekommt den Namen Barrett und ist der neue Sidekick.

Das Einsamkeitsdilemma endet hier. Apokalyptische Endzeitszenarien zeichnen sich oftmals durch einzelgängerische Frontalerlebnisse aus. Das Stereotyp des Outlaw Renegade Raider lässt menschliche Wesen quasi konsequenzlos zu dahinschlagenden Raubgestalten mutieren – die Natur ihren vermeintlichen Trieb nach Selbsterhaltung durch Recht des Stärkeren aufleben (vermeintlich, weil dennoch konstruiert). Staatsabwesenheit gleicht dem Verlust jeglicher Hemmschwelle. Der seit sittlichen Kindheitstagen geworfene Bumerang „Eigentumsfixierung“ kommt in der Postapokalypse zurückgeschnellt und räumt auf seinem Wege die Sitte, Redlichkeit und Karenz mit ab. Ohne Wertekompass verkommen alle zu Monstern und so weiter. Aber bleiben wir bei der virtuellen Ausgestaltung unserer selbsterfüllenden Prophezeiung vom Ableben des Normsystems:

Die Dialoge zwischen Del und Barrett tragen den Großteil der Handlung – sie sind flockig geschrieben und entfalten Dynamik zwischen den beiden. Abgelöst werden die Gespräche durch die steuerbaren Szenen. Wir manövrieren Del aus der 2D-Perspektive und ergattern in kleinen Minispielen Vorräte aus den angebrochenen Resten der Zivilisation. Oberste Priorität hat die Versorgung; Nahrung ist Überleben. Abgelenkt von den einzigartigen Grafiken bleibe ich öfters staunend stehen. Das Ganze wirkt wie eine Collage aus erkennbaren Objekten und zerwürfelter Distanz. Die Schatten pixeln vor sich hin und treffen die Stellen ins Schwarze. Animationen liegen flüssig darüber und auch die Dialogfenster samt Comic-Zeichnungen von Del und Barrett harmonisieren. In Sachen Style erscheint „Fostering Apocalypse“ von Incisor Studios prächtig.

Unterwegs mit einem Landrover, klappern wir ein paar Orte ab. Wir sehen vielerlei Kahlschlagflächen, Ruinen und verlassene Häuser. Barrett lernt allmählich die Menschensprache und punktet mit unschuldigem Charakter trotz des Stempels als „chosen one“ (Geheimkräfte inbegriffen).

Zugegeben ist das Gameplay limitiert. Auch die Spielzeit ist mit einer guten Dreiviertelstunde schnell vorbei (kurzweilig – positiv!). Der Nachdruck von „Fostering Apocalypse“ ist dennoch erwähnenswert. Insbesondere das untypische Erleben einer Welt auf dem Sterbebett, indem ihr mit dem Ende in persona durch die Gegend roadtript und dieses auch noch ausgesprochen kawaii-kokett das Überleben begleitet. Ein sympathisch-zugespitzter Widerspruch in Reinform.

Verwendete Materialien in diesem Artikel: .GIFs von Incisior Studios — .JPEGs telefxnmast

FOSTERING APOCALYPSE • INCISOR STUDIOS • 2021 • PC