Gaming Stories #1: Der berühmteste gelbe Kreis
Berühmte Videospiel-Figuren gibt es mittlerweile zahlreiche. In dieser ersten Ausgabe von Gaming Stories werfen wir unseren Blick auf eine der ältesten berühmten Videospiel-Figuren. Dabei handelt es sich – auf den ersten Blick – um etwas ziemlich Unspektakuläres: einen einfachen gelben Kreis. Einen Kreis, der bei genauer Betrachtung nicht einmal zu jeder Zeit ein ganzer Kreis ist. Und doch wurde genau daraus eine der größten Ikonen der Spielegeschichte.
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1980: Die Geburt einer Videospiel-Ikone
Wir befinden uns im Jahr 1980, als der junge Spieledesigner Toru Iwatani die Figur erdachte, aus der Namco in Folge einen Arcade-Automaten baute.
Und ihr habt es längst geahnt: Hier geht es um Pac-Man. So ziemlich jeder kennt den gelben Kreis mit dem fehlenden Slice. Aber wie entstand Pac-Man eigentlich? Ob sich darauf in den wilden offiziellen Aussagen, hartnäckigen Legenden und Marketing-Märchen eine Antwort finden lässt?
Die Pizza-Anekdote – und andere Unwahrheiten
Die wohl bekannteste Geschichte klingt derart schlüssig, dass sie eigentlich wahr sein müsste. Und sie lautet so: Iwatani bestellt eine Pizza, nimmt ein Stück, sieht die Form und denkt: „Das ist meine Spielfigur“. Es ist perfektes Storytelling. Zu gut, um sie nicht bei jeder Gelegenheit zu erzählen. Doch am Wahrheitsgehalt gibt es Zweifel. Das liegt mitunter daran, dass Iwatani selbst die Geschichte über Jahre hinweg widersprüchlich erzählte und sogar einmal mehr oder minder zugab, dass sie ausgedacht sei. In einem Interview sagte er, die Legende sei so beliebt, dass er einfach bei ihr bleibe.
Eine weitere Erklärung: Die Figur sei vom japanischen Kanji für „Mund“ inspiriert. Iwatani habe dieses eckige Zeichen stark abgerundet, bis daraus die kreisförmige Figur mit Öffnung entstand – Pac-Mans typischer Mund. Doch auch diese Variante wirkt nur teilweise glaubhaft. Denn die Figur existierte bereits Jahre vor dem Videospiel als Spielzeugserie des Herstellers Tomy. Und sowohl Tomy als auch Namco verwendeten damals denselben Namen: Pakkuman. Reiner Zufall? Eher unwahrscheinlich.
Die Story um die Pizza-Ähnlichkeit soll laut Iwatanis Kollegen gar erst nachträglich erfunden worden sein. Pakkuman sei nichts weiter als eben dieser einfache gelbe Kreis gewesen. Den Medien jedenfalls gefiel die Sache mit der Pizza, weil es zugegebenermaßen eine sympathische Erzählung ist. Und Namcos Marketingabteilung spielte gerne mit.
Von Pakkuman bis Fuck-Man
In Japan hieß die Figur ursprünglich Pakkuman, abgeleitet vom japanischen "paku-paku" – ein lautmalerischer Ausdruck für 'essen, mampfen, schmatzen'. Also der Mampf-Man. Ein passender Name für einen Charakter, der sich durch ein Labyrinth frisst. Für den Weltmarkt sollte das Spiel zunächst als „Puck-Man“ erscheinen. Doch dann kam der Moment, der alles änderte: der Export in die USA. Wie auch immer es ablief, man war so geistesgegenwärtig sofort ein gewisses Problem zu erkennen. Der von Midway im Auftrag gefertigte Arcade-Automaten würde auch dort in Spielhallen stehen. Und in diesen Spielhallen hingen Teenager herum. Teenager, die gerne Dinge an Automaten kritzeln. Und „Puck“ lässt sich mit einem einzigen Strich in ein sehr unerwünschtes Wort verwandeln. Also reagierte die Marketingabteilung schnell – und machte aus Puck-Man kurzerhand Pac-Man. Klang ähnlich, war wesentlich weniger riskant und schützte die Marke vor pubertären Schmierfinken.
Mund auf, Mund zu
Wahr ist zumindest Iwatanis Wunsch, ein Spiel ohne Waffen und Gewalt zu erschaffen. Statt zu kämpfen, schießt und frisst sich Pac-Man durch seine Welt – ein freundlicher Charakter, der einfach gemütlich vor sich hin mampft.
Pac-Mans fehlendes Stück dient nicht nur als Wiedererkennungsmerkmal, sondern brachte auch genau diese ikonische Mampf-Animation hervor: zwei Frames, Mund auf, Mund zu. Der immer gleiche statische Kreis wäre sicher auf Dauer langweilig anzusehen gewesen. Doch diese simple Bewegung ließ Pac-Man überraschend lebendig wirken.
Unterhaltsame Legenden
Die Entstehungsgeschichte von Pakkuman alias Puck-Man alias Pac-Man ist wohl nachträglich ordentlich frisiert worden. Vermutlich wollte man die Erfindung dieser ikonischen Figur nicht allzu banal erscheinen lassen. Auch wenn sich vieles als unwahr herausstellte, lieben wir solche Legenden, weil sie uns unterhalten. Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass Pac-Man ein Mix aus Inspirationen ist, angereichert durch die eigenen Ideen und die Fähigkeit das in ein Videospiel zu verpacken. Erst diese Kombinationsleistung von Iwatani führte zu Pac-Man und seinem Erfolg.
Und die Wahrheit wie Pac-Man wirklich entstanden ist, ist am Ende nicht so klar umrissen, wie die Spielfigur selbst. Manchmal entsteht eine Ikone nicht durch einen alleinigen genialen Moment, sondern durch einen Prozess aus Kreativität, Zufall und in diesem Fall auch der Angst, dass jemand aus „Puck“, na ja, ihr wisst schon.
Und so war die Geburtsstunde von Pac-Man die des wohl berühmtesten Kreises der bisherigen Gaming-Historie.